Junge Ehen.

Novellette von Paul Bliß.
in: „Stralsundische Zeitung, Sonntagsbeilage” vom 24.04.1898


Als Fräulein Lilli Bergmann kam, ihrer Freundin der jungen Frau Lassen, einen Besuch zu machen, fand sie das junge Frauchen mit verweinten Augen in ihrem Zimmer allein sitzen.

Erstaunt fragte Lilli: „Aber, Bertha, was ist denn nur vorgefallen? Seit drei Monaten verheirathet und schon in Thränen aufgelöst?”

Die junge Frau nickte, schwieg aber verlegen.

„So sprich doch!” eiferte Lilli weiter, „vielleicht kann ich Dir helfen. Was hat Dir Dein Tyrann denn wieder gethan?”

Schmollend entgegnete die junge Frau: „Er ist seit nahezu acht Tagen ganz abscheulich zu mir! Keinen meiner Wünsche erfüllt er, fast scheint es, als habe er es sich vorgenommen, immer das gerade Gegentheil von dem zu wollen, was ich gern thun möchte.”

„Oho, die „Herren-Natur” regt sich in ihm,” meine Lilli überlegen.

Frau Bertha verstand sie nicht, verärgert berichtete sie weiter: „Er ist ein ganz Anderer geworden; als Bräutigam war ihm jeder meiner Wünsche heilig, nun er aber Ehemann ist, spielt er den Herrn im Hause und verlangt, daß Alle nach seiner Pfeife tanzen.”

„Natürlich! So ist es ja immer! Aber daran bist Du allein schuld! Du hättest Dir gleich von Anfang an Deine Rechte wahren sollen. Wenn man sich nur einmal das Geringste vergiebt, dann ist es für immer aus mit dem freien Willen. Die Ehe ist ein Kampf, das glaube mir, einer muß unterliegen. Ich aber bin eine moderne Frau und werde mir meine Rechte schon zu wahren wissen!”

„Wie Du sprichst, Lilli! Ich habe meinen Karl doch aus Liebe geheirathet.”

„Das ist einerlei! Liebe- oder Geldheirath. Einer kann in der Ehe nur das Wort führen. Die Männer haben uns Jahrtausende hindurch geknechtet, und endlich werden wir uns befreien aus dieser unwürdigen Sklaverei!”

„Aber was soll denn werden, wenn ich nun nicht nachgebe?”

Ironisch lachte Lilli auf. „Liebes Kind, ich sehe schon, Du wirst Dir Deine Freiheit nicht erkämpfen; sonst hättest Du diese Frage nicht gethan. Also bleib nur getrost, was Du warst, und spiele das Aschenbrödel weiter. Wenn ich aber einmal verheirathet sein werde, dann sollst Du sehen, wie man sich seinen Ehegatten erzieht!” Damit ging sie.

Eine halbe Stunde später kam Karl Lassen nach Hause. Als er sein Frauchen mit verweinten Augen fand, that es ihm leid, daß er ihr vorhin eine Scene bereitet hatte. Sofort beschloß er, das erste Wort zur Versöhnung zu sprechen. Er näherte sich der kleinen schmollenden Frau, streichelte ihre blonden Kraushaare und sagte lächelnd: „Nun, kleine Hausfrau, bekomme ich keinen Kuß?”

Frau Bertha, eingedenk der guten Rathschläge Lillis, aber schwieg und wandte sich ab.

Resignirt trat er zurück und dachte: warten wir also noch ein wenig.

Schweigend verharrte Jeder auf seinem Platz. Sie häkelte, er las die Abendzeitung. Wohl zehn Minuten vergingen so.

Langsam sank die Dämmerung hernieder und hüllte Alles ringsum in wohlthuend mildes Licht. Durch das halb offene Fenster wehte ein lauer Frühlingshauch herein und brachte süße Düfte mit, tausend Grüße junger Lenzblüthen, die ein milder Regen wachgeküßt hatte.

Plötzlich sahen beide sich an. Aber nur einen Augenblick. Und gleich darauf war Jeder wieder bei seiner Beschäftigung.

Endlich stand er auf, trat ans Femster, sah in die sinkende feuergluthende Sonne und sagte mit ganz leiser Stimme: „Sieh nur, wie einzig schön das ist.”

Langsam erhob sie sich und trat zu ihm heran. Schweigend sahen sie beide auf das herrliche Bild, das man jeden Abend sehen kann und das uns doch täglich tausend neue Reize und Schönheiten bietet.

„Ist es nicht wirklich herrlich?” fragte er.

Lächelnd nickte sie nur und sah ihn von der Seite an, mit halbem Blick und leisem Entgegenkommen.

Und als er dies bemerkte, legte er seinen Arm um ihre Taille und zog ihren schlanken erzitternden Körper an sich. Im nächsten Augenblick lag sie an seiner Brust, und Alles, was vordem geschehen, war vergessen. Sie küßten sich und waren ausgesöhnt.

Dann sagte er: „Sieh' mal, Schatz, ich meinte es doch nur gut mit Dir, wenn ich vorhin dagegen war, daß wir soviel Gesellschaften mitmachen, das reibt uns doch nur auf, macht uns nervös und bringt uns um das stille Glück unserer jungen Ehe. Giebst Du mir darin denn nicht auch Recht?” Lächelnd sah er sie an.

Und sie nickte nur, dann barg sie den Kopf an seiner Brust, denn sie fühlte sich beschämt.

Er aber küßte sie von Neuem. Und damit war der Streit nun abgethan.

*           *           *

Ein halbes Jahr später macht Frau Lilli mit ihrem Ehemann den ersten Besuch bei Lassens.

„Nun, wie hat sich's gemacht?” fragte Lilli, als sie mit der Freundin allein war, „hast Du nachgegeben?”

„Bertha nickt lächelnd und antwortet: „Und ich bin glücklich dabei geworden.”

Lilli zuckt darauf leichthin die Schulter und meint nur: „Wem nicht zu rathen, dem ist auch nicht zu helfen! Paß mal auf, wie ich mir meinen Mann erzogen habe.” Dann rief sie: „Egon, komm' doch mal her.”

Sofort sprabg der junge Gatte hinzu: „Was wünschest Du, Frauchen?”

„Ich möchte gern auch so ein schönes Armband haben, wie es Bertha hat.”

„Sollst Du haben, Frauchen.”

„Und einen grauen Papagei auch.”

„Gleich morgen beschaffe ich ihn.”

„Und dann mußt Du auch auf Oper und Schauspiel abonniren.”

„Ist heute bereits geschehen, Schatz.”

Lilli lächelte und reichte ihm die Hand, die er ehrerbietig küßte.

„Nun, was sagst Du? So ist er immer!” flüsterte sie der Freundin zu.

Beertha entgegnete lächelnd: „Alle Hochachtung vor Deiner Erziehungskunst!”

Als das junge Ehepaar gegangen war, sagte Karl Lassen zu seiner Frau: „Der Mann ist der richtige Hampelmann.”

Und Frau Bertha meinte neckisch: „So? Ich finde, daß er sehr zuvorkommend ist.”

„Ei, sieh' doch mal an! Was ist Dir denn eigentlich lieber — wenn der Mann oder die Frau regirt?” —

Darauf antwortete Frau Bertha garnichts, aber sie umfaßte ihren Karl und gab ihm einen herzhaften Kuß.

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